Doris Ziegler: Das Passagen-Werk. Malerei - in den Galerieräumen von Döbele Kunst Mannheim Leibnizstraße 26

14.04. - 27.05.2023

Melancholie und Welttheater
Das Passagen-Werk der Leipziger Malerin Doris Ziegler zwischen Aufbruch und Übergang

Mit großem Erfolg wurden im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) Gemälde aus den Jahren 1977 bis 2016 gezeigt. Titelgeber der dortigen Soloschau war das 1988 entstandene Hauptwerk „Ich bin Du!“ – ein zur Entstehungszeit provokant wirkendes Selbstbildnis in nackt-androgyner Doppelgestalt, das sich im Angebot von Döbele Kunst Mannheim befindet. Publikum und Feuilleton zeigen sich über die unerwartete Neuentdeckung dieser Künstlerin einhellig begeistert: Die Rezensentin der Berliner Zeitung, Ingeborg Ruthe, schrieb im März 2023 fasziniert, wie meisterhaft und authentisch es Doris Ziegler gelänge, „in herber Stilistik vom Daseinskampf der Menschen zwischen politischen Stürmen und Selbstbehauptung“ zu berichten.

Während in der Kabinettausstellung in Halle (Saale) Ausschnitte aus dem Gesamtwerk der von Döbele vertretenen Künstlerin zu besichtigen waren, liegt der Fokus in der Galerie pointiert auf dem zwischen 1988 und 1994 geschaffenen „Passagen-Werk“. Dieser Bilderzyklus bildet zweifellos die künstlerische Hauptleistung der 1949 in Weimar geborenen Malerin, die in den 1960er Jahren bei Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte und später selbst zur Professorin an dieser singulären „Leipziger Schule“ wurde. In Mannheim sind nun acht Gemälde aus dem „Passagen-Werk“ im Angebot, was angesichts der kunsthistorischen Bedeutung dieser Bilder bereits ein Novum darstellt. Zudem stammen alle Gemälde direkt aus dem Künstleratelier von Doris Ziegler im Leipziger Stadtviertel Plagwitz, wo sie, völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit, die politischen Umbrüche und kunsthistorischen Neubewertungen überdauert haben.

Bei aller Vorsicht vor Superlativen kann man in diesem seltenen Fall ohne Übertreibung von einer echten Entdeckung sprechen, die derzeit in Mannheim und Halle (Saale) auf Grund der engagierten Zusammenarbeit zwischen der Galerie Döbele und der Malerin Doris Ziegler vor den Bildern nachzuvollziehen ist. Auf den Werken des offerierten Zyklus ist es die Künstlerin selbst, welche die turbulenten Szenen im deutsch-deutschen Zeitgeschehen wie in einem Welttheater durchlebt, zumeist als skeptische Randfigur in einer scheinbar fremdbestimmten Inszenierung. Doris Zieglers Passagen-Zyklus bündelt dabei die Erfahrung einer gesellschaftlichen Transformation ohne historische Parallele. In ihm verdichten sich Momentaufnahmen zu einem künstlerischen Panorama von „Wende“, Umbruch und radikalem Neubeginn.

Ihr monumentales Bild „Große Passage“ (1988/89) – ebenfalls im Angebot der Galerie, wegen seiner Größe aber als Fotografie in den Räumen in der Leibnizstraße präsent –, bündelt diesen Prozess in einem eingefrorenen Moment: Auf einer Brücke erscheint das Personal der Revolution: Integrierte und Apokalyptiker, Kinder und Dissidenten, Rosa Luxemburg und Akten tragende Geheimdienstmänner. Im Zentrum jedoch, neben der Künstlerin mit Sohn, stehen drei Personen – ein Jugendlicher, der die Kerze, Sinnbild der Friedlichen Revolution, in seiner Linken hält sowie zwei Liebende, die beide ihre Masken vom Gesicht nehmen, noch unsicher, ob sie diese nicht wieder brauchen werden.
Die Authentizität des Erlebens dieses unmittelbaren Umbruchs, der sich innerhalb des Passagen-Werks malerisch abbildet, entwickelt eine ästhetische Sogkraft, der man sich nur schwer entziehen kann. Wesentlich dazu bei trägt die Qualität der Malereien: Zieglers Gemälde sind allesamt in altmeisterlich entlehnter Mischtechnik entstanden, jener in Leipzig vor allem im Kreis um Werner Tübke perfektionierten Schichtenmalerei mit Harzöllasuren über einer Temperauntermalung, die von der Malerin seit ihrer Studienzeit angewendet wird.

Den beiden noch in der DDR-Zeit entstandenen Bildern des Zyklus („Ich bin Du!“, 1988 u. „Große Passage“, 1988-1989) stehen sechs Werke gegenüber, die in den ersten Monaten und Jahren nach der Friedlichen Revolution und dem Beginn einer radikalen Transformation geschaffen wurden. In ihnen wird die individuelle Biografie des künstlerischen Eigensinns – aber auch Facetten von Verrat, Aburteilung und tragischer Verlustanzeigen („Das Konzert“, 1990; „Kreuzabnahme“, 1992; „Absturz“, 1993) – zugleich zum Teil einer übergreifenden Stadt- und Gesellschaftsgeschichte. Konnte man sich in der DDR im noch verbliebenen Glanz der alten Messepaläste und der überdachten Ladenzeilen in ein „Anderswo“ sehnen, so wurde der Ort im gesellschaftlichen Umbruch für die Künstlerin zum exemplarischen Kabinett einer menschlichen Revolutions- und Restaurierungskomödie – in der die Masken fielen und wie in einem Panoptikum ungekannte Charakterrollen auf die Bühnen der Öffentlichkeit drängten.

Das über die Zeit gerettete Passagensystem der Leipziger Innenstadt wurde somit nach 1989 zu einem Symbol radikal gewendeter Verhältnisse. Dies wird in den sich zu einer Trilogie im Zyklus gruppierenden Werken „Musikanten“ (1993), „Hansahaus I“ (1994) und „Hansahaus II“ (1994) spürbar. Sie zeigen, wie sich alle und Alles neu auszurichten hatten. Am Rande blieben die, welche bereits vorher aus der Zeit gefallen schienen, und die sich nun in der Übergangsgesellschaft ebenso nicht zur euphorischen Affirmation neuer Staatlichkeit berufen fühlen. „In den Halbruinen“, erinnert sich Doris Ziegler an die Zeit der Entstehung dieser eindrucksvollen Bilder, „strandete das menschliche Treibgut dieser Übergangszeit, von der verunsicherten Hoffnung getrieben, einen Platz in einer sich neuformierenden Gesellschaft zu finden.“

Dr. Paul Kaiser

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